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Die Tour. Tag 1.

Die ganze Nacht hindurch konnten wir den Wind ums Hotel heulen hören, und da uns der Wind schon bei der Trainingswanderung am Vortag fast umblies, waren wir gespannt, was uns auf der ersten Etappe erwarten würde. Aber wie sich bald herausstellen sollte, war nicht der Wind der grösste Gegner.

Die Fahrt über den Lago Grey verlief unspektakulär, da wir auf Grund des starken Regens leider nicht viel sehen konnten.

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Als wir von Bord gingen und zum ersten Mal unsere Vollpackung schulterten, regnete es immer noch in Strömen. Dazu war es nicht wärmer als 5° Celsius.

Nun konnte unsere teure Hightech-Ausrüstung zeigen, ob sie den Versprechen der Werbung und der Verkäufer gerecht wurde. Atmungsaktivität und vor allem Wasserdichtigkeit wurden auf eine harte Probe gestellt. Ebenso konnten die Trekking-Stöcke und die Schuhe auf den schlammigen Wegen, zeigen, was sie können. Bislang macht die Ausrüstung auch unter harten Bedingungen mit und es gibt nur kleine Details zu bemängeln (die aber wie alle Details manchmal ziemlich störend sein können…). Schade, dass es für eine perfekte Atmungsaktivität trotz allem zu warm war, da die entsprechenden Membranen auf einen möglichst grossen Temperaturunterschied zwischen innen und aussen angewiesen sind.

Leider fuhr das Schiff mit einiger Verspätung los, und so war es schon 15.30h, als wir unsere Trekking-Tour starteten. Da wir ursprünglich mit 4h für die erste Etappe gerechnet hatten, mussten wir ein zügiges Tempo einschlagen, um das Refugio Paine Grande noch bei Tageslicht zu erreichen. Die Aussicht, den schlammigen und schwierigen Weg im Dunkeln und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und im Regen zurücklegen zu müssen, schien uns nicht sehr verlockend.

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Und so erreichten wir nach anstrengenden, aber auch schönen 3.5 Stunden ohne Pause, 400 Höhenmetern und 11km entlang des Lago Grey und zu Füssen des Cerro Paine Grande das Refugio Paine Grande, das uns von weitem mit seinen warm erleuchteten Fenstern in der fortgeschrittenen Abenddämmerung äusserst begehrenswert erschien.

Wie doch erste Eindrücke täuschen können!

 

Die Tour. Tag 2.

Wenigstens schien am Morgen die Sonne und beleuchtete die verschneiten und teilweise in den Wolken liegenden Bergmassive, die windumtosten bizarren Felsspitzen, die türkisgrünen Seen und die in herbstlicher Pracht leuchtende Vegetation. Eigentlich eine Szenerie wie aus dem Bilderbuch.

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Aller Idylle zum Trotz war unsere Stimmung eher frostig, da das Refugio sich als unanständig überteuertes, unfreundliches und vor allem ungeheiztes feuchtes Loch erwiesen hatte.

Was sich am Vorabend von weitem und aussen als warmer und einladender Zufluchtsort präsentiert hatte, stellte sich im Innern als Jugendherberge, wie es sie bei uns seit 20 Jahren nicht mehr gibt, heraus. Und das zum günstigen Nebensaison-Preis von umgerechnet USD 120 pro Person.

Das Nachtessen, das uns an der Fass-Strasse lieblos hingeknallt wurde, war kalt und wäre ungeniessbar gewesen, hätten wir nicht so Hunger und vor allem eine Alternative gehabt. Das 6-er Zimmer war winzig und bot kaum Platz, um die Ausrüstung von 6 Personen zum Trocknen aufzuhängen. Und weil das Zimmer nicht geheizt war, konnte von trocknen eh keine Rede sein.

Nachdem trotz des Chaos, welches das Personal mit der Betten- und Zimmerbelegung veranstaltet hatte, jeder sein Bett bezogen hatte, bekamen wir endlich ein paar Stunden dringend benötigten Schlaf.

Als wir deshalb am Morgen die Sonne sahen, hielt uns nichts mehr im Refugio, in dessen Inneren es gleich warm war wie draussen. Nicht mal am Morgen wurde geheizt. Und so quälten wir uns in unsere kalten und feuchten Kleider (sofern wir sie in der Nacht überhaupt ausgezogen hatten) und starteten zur zweiten Etappe.

Diese sollte uns um den Cerro Paine Grande, zunächst entlang des Lago Pehoé, dann entlang des Lago Sköttsberg zum Campamento Italiano führen. Von dort aus wollten wir das Valle de Francés hinauf bis Británico, dann wieder hinunter zum Campamento Italiano und von dort weiter zum Refugio Los Cuernos gehen.

Nach etwa einer halben Stunde aufstieg wurde es plötzlich sehr windig und die Sonne wich einem Schneesturm mit Böenspitzen von sicher 80km/h.

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Aber es machte Spass, wir hatten dank unserer super Ausrüstung (und den 20kg Gepäck…) endlich warm und es kam richtiges Expeditions-Feeling auf. Nach spannenden und trotz Schnee (in meinem Fall: gerade wegen des Schnees) sehr schönen 2.5h, in denen wir immer wieder spektakuläre Aussichten hatten, kamen wir hungrig im Campamento Italiano an. Geniessen konnten wir die Mittagspause aber nicht so richtig, weil es nicht wärmer als 2-3°Celsius war und wir in unseren durchgeschwitzten Kleidern ziemlich schnell völlig durchgefroren waren. Leider war das Valle del Francés wegen der Witterung und des Schneefalls in der vergangenen Nacht gesperrt, und so machten wir uns auf den Weg zum Refugio Los Cuernos.

Bald kamen wir in eine neue Mikro-Klimazone, der Schneefall hörte auf und die Sonne schien wieder. Auch waren wir im Wald vor dem Wind geschützt und so konnten wir das ständige Auf und Ab des Weges, die wunderbar mit dem leuchtenden Türkis des Lago Nordernskjöld kontrastierenden Herbstfarben der Vegetation und das spektakuläre Schauspiel, das die Windböen boten, wenn sie mit 80km/h auf das Wasser peitschten, die Gischt meterhoch aufspritzte und weit über den See davonstob, in vollen Zügen geniessen.

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Die nächste Pause konnten wir sogar entspannt am Strand liegend geniessen, wo wir dank unserer Wasserfilter-Pumpe auch unsere Wasservorräte wieder auffüllen konnten.

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Und dann trafen wir nach insgesamt 6h im Refugio Los Cuernos ein.

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Was für ein Unterschied zum Refugio Paine Grande! Super nettes und hilfsbereites Personal, dank eigenem Holzofen kuschlig-warme 2-Personen – Cabaña, feines Nachtessen (zuunterst eine dicke Lage Hackfleisch, dann eine Schicht Eier und zuoberst eine dicke, mit Käse überbackene Schicht Kartoffelstock) und genügend Platz um all unsere Sachen zu trocknen.

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Nun sind wir müde und glücklich bereit für den Schlaf.

Gute Nacht!

 

Die Tour. Tag 3.

Wer hätte gedacht, dass wir einmal das Luxusproblem haben, dass es zu heiss ist? Geprägt von der vergangenen Nacht haben wir dem Ofen eingeheizt, was das Zeug hielt. Zudem verteilten wir unsere Sachen in abenteuerlicher Weise mit Packriemen, Wäscheklammern und allem, was wir dabei hatten, im ganzen Zimmer, um sie zu trocknen.

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Und es wurde warm. Nur schon vom völlig bewegungslosen Liegen auf dem Bett kamen wir ins Schwitzen… Nun, was kann man in solch einem Fall anderes tun, als mit schlechtem Gewissen die Tür zu öffnen und kalte Luft hereinzulassen? Auf diese Gelegenheit hatte die kleine Maus wahrscheinlich nur gewartet und so huschte sie scheinbar unbemerkt in die Cabaña… Aber zum Glück nur scheinbar. Als wir sie nach 10 Minuten wieder hinauskomplimentiert hatten, schwitzten wir nur noch mehr…

Nichtsdestotrotz war es am nächsten Morgen schön, wieder in trockene Kleider zu schlüpfen und die dritte Etappe in Angriff zu nehmen. Mittlerweile hatte sich das Wetter gebessert und es herrschte eine wunderbare Morgenstimmung über dem See.

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So zogen wir für einmal nicht mehr ganz so dick vermummt los und als wir über die erste Passhöhe kamen, lächelte uns die patagonische Sonne ins Gesicht.

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Es wurde eine wunderschöne Etappe unter fast wolkenlosem Himmel, mit spektakulären Aussichten auf die herbstgelben Ebenen, weiss leuchtenden schneebedeckten Berge und türkisgrünen Seen Patagoniens.

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Mittlerweile waren wir uns auch das wandern gewohnt, und so spürten wir die 20kg auf den Schultern kaum mehr. Wir kamen sehr gut vorwärts und hatten immer wieder Zeit für kleine Foto- oder Wasserauftankstops. Nach lockeren 5h kamen wir dann im Refugio Torres Central an und konnten unser wohlverdientes Bier kurzärmlig draussen in den letzten Sonnenstrahlen des Tages und mit Blick auf die berühmten Torres del Paine geniessen.

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Die Tour. Tag 4. Grosses Finale.

03.30h. Der Wecker klingelt. Rasch sind wir bereit für den Abmarsch. Der Plan: 9.5km und 800 Höhenmeter zu den Torres del Paine hochsteigen und den Sonnenaufgang beobachten. Das Wetter ist perfekt und der Himmel voller Sterne.

Im Mondlicht und dem Schein von Martinas Stirnlampe beginnen wir den steilen Aufstieg. Nur mit leichtem Gepäck ausgerüstet (den Rest haben wir im Refugio Torres Central zurückgelassen) fliegt Martina nur so den Berg hoch, währendem ich ein bisschen langsamer folge. Nach etwa 2h haben wir das Refugio Chileno erreicht, dessen Türe zum Glück offen ist, sodass wir unsere Wasservorräte nachfüllen können.

Danach geht’s durch absolut dunklen Wald, wo auch ich meine Taschenlampe hervorholen muss. Leider kann ich so aber meine Trekkingstöcke nicht mehr benutzen, die bis anhin äusserst wertvolle Dienste geleistet hatten. Da der Boden noch gefroren ist, ist es nicht so schlammig und wir kommen die nächste Stunde gut voran.

Und dann kommt der Schnee.

Der Schnee wäre eigentlich nicht so sehr ein Problem gewesen, aber von nun an ist der Pfad völlig vereist und sehr steil. Auch die Steine, die als Treppenstufen dienen sollten, sind vereist und sehr rutschig, sodass wir nur noch sehr mühsam und langsam vorwärts kommen. Und es ist immer noch dunkel. Mittlerweile ist es ca. 07.00h.

Der Pfad wird immer schlimmer und ausserhalb des Pfades zu gehen, ist keine Option, da alles felsig ist und es auf der einen Seite steil nach unten geht.

Eigentlich ist es völlig unvernünftig, was wir machen, ohne Steigeisen hochzusteigen. Hochsteigen ist das eine, aber das Runterkommen wird noch viel schwieriger werden. Kurz vor dem Ziel entscheiden wir uns, den Aufstieg abzubrechen, eine windgeschützte Stelle zu suchen und dort auf den Sonnenaufgang zu warten. Und unterdessen überholen uns Leute, die nur mit Turnschuhen und teilweise in Jeans hochsteigen.

Da es aber mittlerweile flacher wird, gehen wir weiter und nach einer Stunde ziemlich gefährlichen Aufstiegs haben wir das Ziel erreicht und stehen vor den eindrücklichen Torres del Paine.

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Kurz die verschwitzten Kleider gegen trockene Thermosachen tauschen und dann warten wir bei einigen Minusgraden auf die Sonne.

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Der Anblick der Bergspitzen, die sich in den ersten Sonnenstrahlen langsam rot färben, lässt einem den Atem stocken und mir läuft es kalt den Rücken herunter. Majestätisch stehen sie da, die Torres, unbeeindruckt von Wind und Wetter. Während es für sie nur ein weiterer Sonnenaufgang, ein kleines Blinzeln der Ewigkeit ist, ist es für uns einer der schönsten Momente, die wir erlebten. Dieser Anblick ist das Ziel der ganzen Mühen, des Schleppens von je 20kg Ausrüstung durch Schneesturm, Wind, Regen und Sonne, des Übernachtens in einfachen und ungeheizten Unterkünften und des wochen- und monatelangen Trainings. Ein Anblick, der für alles entschädigt.

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Leider dauert der magische Moment nicht lange und alle Berge sind nun von der Morgensonne erleuchtet. Und so machen wir uns an den Abstieg, aber erst, nachdem wir der Pachamama ein Steinopfer dargebracht haben.

Viele rutschen auf dem Hosenboden hinunter, was aber erstens wegen der Felsblöcke sicher schmerzhaft und andererseits nicht ungefährlich ist, da es links steil ins Tal hinuntergeht. Während wir auf dem Aufstieg nur langsam vorankommen, brauchen wir für den Abstieg eineinhalb Mal länger, kommen aber wohlbehalten im Refugio Chileno an.

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Mittlerweile hat es dort schon viele Leute und es ist nun auch offiziell offen. Unglaublich,  wie schön eine einfache Tasse Schwarztee mit Zucker sein kann!
Der letzte Teil fällt uns mittlerweile leicht und nachdem wir der Pachamama einen besonders grossen Stein als Dankesopfer dafür, dass sie uns auf der ganzen Tour gut beschützt hat, dargebracht haben, erreichen wir nach 10h wieder das Refugio Torres Central.

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Das „W“ ist vollbracht und wir fallen uns glücklich in die Arme.

 

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