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Menschenopfer

Unvorstellbar schmerzhaft muss er gewesen sein, ihr Tod. Und die endgültige Dunkelheit muss für die junge Frau eine Erlösung gewesen sein. Wir hoffen alle, dass sie wenigstens unter Drogen gesetzt worden war und von den zahlreichen Hieben mit der Steinaxt nicht allzu viel mitbekommen hat. Zahlreiche Wunden hat die Axt verursacht, viele Hiebe waren vielleicht tödlich, sicherlich aber jener, der das grosse Loch im Schädel hinterlassen hat. Ungefähr 20 Jahre alt wurde die Frau, die in einem dunklen Winkel weit hinten in einer riesigen Höhle in den Bergen von Belize ihre letzte Ruhestätte gefunden hat. Und sie ist nicht das einzige Mordopfer. Drei weitere Schädel haben wir entdeckt, zusammen mit den weiteren Teilen der Skelette.

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Wir sind mittlerweile in Belize angekommen, dem Land der Mayas. Jener Hochkultur, die von 2000 v.Chr. – 900 n.Chr. gelebt hat und in der letzten Periode von einer fast hundert Jahre andauernden Dürre geplagt wurde. Das Land verdorrte, Bürgerkriege brachen aus und die Menschen wurden immer verzweifelter und wandten sich mehr und mehr der Religion zu. Schon damals brachten Religionen auch die grausamsten Seiten der Menschheit zum Vorschein, und so versuchten die Mayapriester, die Götter unter anderem mit Menschenopfern gnädig zu stimmen. Gebracht hat das natürlich nichts, die Mayas gingen wie jede andere Hochkultur zu Grunde. Übrig geblieben sind zahlreiche Zeugen hochstehenden Wissens, genialer Architekturkunst, fortschrittlicher Infrastruktur und reger Handelstätigkeit über weite Entfernungen. So entwickelten Mayas einen Kalender, konnten eine Sonnenfinsternis schon Jahrzehnte im Voraus berechnen oder kannten das Konzept der Zahl Null. Übrig geblieben sind aber auch stumme Zeugen ihrer fatalen Heilssuche in der Religion.

Die Reise nach Belize war nicht ganz einfach. Zuerst mussten wir mit dem Miniauto das wilde und unzugängliche Gebirge von Dominica überqueren. Danach ging es mit dem Flugzeug via Antigua nach San Juan, Puerto Rico. Dort blieben wir einen halben Tag und eine Nacht und nutzten die Gelegenheit, die wunderschöne Altstadt von San Juan mit ihren beiden mächtigen Festungen zu besichtigen. San Juan stellte einstmals einen der wichtigsten Häfen der Spanier dar. Puerto Rico war die erste Insel, auf welcher die spanischen Schiffe nach der langen Atlantiküberquerung frische Vorräte laden und Schäden reparieren konnten. Via San Juan wurden auch die Handelswaren aus Mittel- und Südamerika nach Europa verschifft.

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Von Puerto Rico ging unsere Reise am nächsten Tag weiter nach Miami und von dort schliesslich nach Belize City. Kaum in Belize City gelandet, ging unser letzter Flug nach Placencia, dem zweitletzten Ziel unserer Karibikreise. Auf diesen Flug hatte ich mich schon lange gefreut, und ich wurde nicht enttäuscht. Vom Gate spazierten wir an zwei Blackhawks vorbei zu unserer kleinen Cessna. Kaum waren wir eingestiegen und hatten direkt hinter dem Piloten Platz genommen – wenn ich nur früher gewusst hätte, dass man auch auf dem Co-Pilotensitz hätte Platz nehmen können! – stieg der Pilot ein, startete den Propeller, rollte ein paar Meter zur Startpiste, beschleunigte in der Kurve und hopp waren wir schon in der Luft. Keine zehn Minuten hatte das Ganze gedauert.

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In Placencia erwartete uns ein kleines und einfaches Hotel, das wunderschön am Strand gelegen ist. Placencia selbst ist ein kleines, herziges Dorf mit vielen lokalen Läden, Restaurants und Bars. Es herrscht ein herrlicher Ferien- und Backpackergroove, das Leben ist sehr entspannt. Die entspannte Stimmung merkt man schon bei der lokalen Maya Island Air. Unser Flug von Miami war ziemlich verspätet und wir hatten eigentlich unseren vorgesehenen Flug verpasst. Aber easy, kein Stress, wir wurden mit einem Lachen auf den nächsten Flug verwiesen. Alle zwei Stunden geht ein Flug und wenn man einen verpasst, nimmt man halt den nächsten. Übergewicht beim Gepäck? Interessiert doch niemanden. Ah ja, wir hätten eigentlich noch zwischenlanden und einen Mitreisenden irgendwo zwischen Belize City und Placencia aussteigen lassen sollen. Aber weil die Mehrheit nach Placencia fliegen wollte, flogen wir halt zuerst nach Placencia.

Die ersten beiden Tage gingen wir Tauchen. Sehr schöne Tauchgänge an der eindrücklichen Steilwand am grossen Barrier Reef vor Belize mit verspielten Ammenhaien, aggressiven Muränen, gefrässigen Schildkröten, hungrigen Adler- und sonstigen Rochen, scheuen Delfinen und klarem und warmem Wasser.

Heute, am dritten Tag, wollen wir nun die legendäre, sagenumwobene und mystische Unterwelt der Mayas erkunden. Zweieinhalb Fahrstunden von Placencia entfernt beginnt das Gebirge, das 60% der Fläche von Belize bedeckt. Der Kalkstein ist von einem riesigen Höhlensystem durchzogen, das weit bis nach Mexiko und Guatemala reicht und tausende von Kilometern umfasst. In diese Höhlen wurden die Mayapriester geschickt, um quasi im Bauch der Erde Kontakt mit den Göttern aufzunehmen. Wenn man die riesigen Stalaktiten, die von der Höhlendecke herabhängen, sieht, kann man sich gut vorstellen, dass die Mayas diese für die Wurzeln der Götter hielten. Im flackernden Schein der Fackeln müssen die Schatten gespenstisch gewirkt haben – da eine Bewegung! dort eine über die Felswände huschende Gestalt! ein riesiger schwarzer Schädel!

Den durch den Sauerstoffmangel verwirrten Mayapriestern müssen die Geräusche des unterirdischen Flusses, der unzähligen Wassertropfen und des Schlagens der Flügel der Fledermäuse wie das Flüstern und Wispern der Götter vorgekommen sein. Den Rest gaben sie sich dann mit halluzinogenen Substanzen. Wie angsteinflössend muss das wohl für die auserkorenen Menschenopfer gewesen sein, die hier im Gestank der verwesenden Leichen darauf warteten, von durchgedrehten Priestern umgebracht zu werden?

Die einmalige und unvergessliche Tour in die Atun Tunichil Muknal – Höhle beginnt schon sehr abenteuerlich. Nachdem wir alle mit Helmen, Stirnlampen und Schwimmwesten ausgerüstet worden sind, marschieren wir nur mit Badehosen und Shirts bekleidet in den Dschungel. Kameras dürfen wir leider keine mitnehmen, nachdem vor ein paar Jahren ein Tourist die Kamera auf einen Totenschädel fallen liess und dieser jetzt noch ein weiteres Loch aufweist. Alle Fotos stammen deshalb aus dem Internet.

Bald schon müssen wir den Fluss, der seine Quelle tief in der Höhle hat, ein erstes Mal durchqueren. Da es keine Brücke gibt und der Fluss zu tief ist, bleibt uns nichts anderes übrig als zu schwimmen. Zum Glück ist jetzt in der Trockenzeit die Strömung nicht sehr stark. Aber der Fluss, der aus der Mayasprache übersetzt Roaring River heisst, kann in der Regenzeit bis auf das Zehnfache anschwellen und ist dann unpassierbar. Zweimal müssen wir den Fluss in der nächsten Stunde noch durchqueren, bis wir am Eingang der Höhle stehen.

Hier bleibt uns nichts anderes übrig, als ins Wasser zu springen und durch das tiefe Wasser in die Höhle zu schwimmen. Als wir zurück blicken, raubt uns der Anblick ein erstes Mal den Atem. Durch den breiten Felsspalt ist der sonnenbeschienene Dschungel zu sehen, darunter das kristallklare, türkis schimmernde Wasser und vor uns liegt die ewigschwarze Unterwelt der Mayas.

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Die Erkundung der Höhle ist ein in dieser Form wohl weltweit einzigartiges Erlebnis. In diese Höhle sind kein Weg und kein Steg gebaut und es sind keine Seile angebracht, an denen man sich halten könnte. Kein künstliches Licht leuchtet den Weg aus und es warnen keine Tafeln vor Gefahren. Wir waten und schwimmen einfach durch den unterirdischen Fluss, klettern über Felsen und kleine Wasserfälle, zwängen uns durch Felsspalten, die gerade noch genug gross sind, dass ein Kopf hindurchpasst und müssen ständig aufpassen, dass wir unter Wasser nicht die Füsse zwischen Felsen einklemmen oder die Knie an scharfkantigen Steinen anschlagen. Dank des Adrenalins haben wir nicht kalt, obwohl das Wasser nur vielleicht 24 Grad hat.

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Die Höhle selbst ist riesig, nicht nur in der Länge, auch in der Höhe. Die Decke ist zum Teil im schwachen Licht der Stirnlampen kaum zu sehen. Blicke nach oben sind immer wieder atemberaubend. Mehrere Meter lange, riesige Stalaktiten hängen weit oben an der Decke, ebenso mächtige Stalagmiten recken sich empor. Überall glitzern und funkeln die Kristalle – eine Märchenwelt, unterirdisch, aber überirdisch schön. Ehrfurcht beschreibt das Gefühl wahrscheinlich am besten, und wir fühlen uns unglaublich privilegiert, dies erleben zu dürfen.

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An einer Stelle schalten wir die Lampen aus und sofort umgibt uns vollkommene Dunkelheit. Wir dachten, wir wüssten, was Schwarz ist. Aber dieses Schwarz ist das vollständige Fehlen von Licht, dunkler als alles andere. Es umschliesst einen und saugt einen auf. Es gibt einfach nichts ausser das eigene Bewusstsein. Langsam waten wir im Fluss unserem Guide hinterher, dessen Stimme von vorne und gleichzeitig von überall her kommt. Wo es kein Licht gibt, gibt es auch kein Vorne und Hinten.

Aber selbst hier existiert Leben. Wir sehen Fledermäuse, riesige Spinnen, Insekten und hie und da werden wir von kleinen Fischen angeknabbert. Sogar eine kleine, komischerweise grüne Pflanze sehen wir.

Nach zahlreichen Kletterpartien stossen wir auf die ersten Zeugnisse der Mayas – Tonkrüge und Scherben. Einfach so liegen die wertvollen Artefakte da, ohne Absperrung, nur mit einem kleinen Strich am Boden markiert. Und dann sehen wir den ersten Schädel und bald darauf weitere Schädel und Knochen – Wirbelsäulen, Rippen, Oberschenkelknochen. Es sind die Überreste von Menschenopfern, die hier liegen. Mittlerweile sind die Überreste von einer Kalkschicht überzogen, da im Lauf der Jahrhunderte immer wieder stark mineralhaltiges Wasser über die Knochen geflossen ist. Weil langsam das Kalzit auskristallisiert, glitzern die Schädel zum Teil wie bizarre Kristalle – buchstäbliche Kristallschädel.

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Nach einer weiteren abenteuerlichen Kletterpartie erreichen wir dann das Skelett der jungen Frau, die in einem grausamen Ritual einen nutzlosen Tod gefunden hat. Das Skelett ist sehr gut und fast vollständig erhalten, und da es hoch über dem Fluss liegt, sind die Knochen noch alle am richtigen Ort.

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Mit einem letzten Schaudern machen wir uns rutschend, schwimmend, kletternd und tastend auf den Rückweg ins Licht, bereichert um ein einmaliges und unvergessliches Erlebnis.

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